images
Maximiliansweg

Tag 21: Sonthofen - Staufener Haus

Der Maximiliansweg ist sicher nicht meine disziplinierteste Wanderung - sowohl im Laufen als auch im pünktlichen Posten - aber meine erholsamste bisher. Ich lasse mich treiben, verliere mich in Gedanken, freue mich über Blumen am Wegesrand und Schnecken, die im Weg liegen. Auf dem Pürschlinghaus hatte ich eine junge Familie getroffen, die meinte Kinder würden mit anderen Augen wandern. Kleine Dinge fangen schnell deren Aufmerksamkeit und führen zu einer kleinen Pause, in der alle Wahrnehmung jener Entdeckung geschenkt wird. Vielleicht laufe ich den Maximiliansweg mit den Augen eines Kindes und dem reflektierenden Geist eines Erwachsenen. So bin ich im Innen in einer hohen Komplexität unterwegs, während ich im Außen ganz die Einfachheit des Hier und Jetzt genieße.

Und ich frage mich, ob nun die Achtsamkeit oder die Disziplin der bessere Begleiter ist. Sind es nicht komplette Gegensätze? Wenn ich einen liebevollen Umgang mit mir selbst pflege, darauf höre, wie es mir geht, wie sich der Körper anfühlt, ob ich die Kraft und Motivation für die heutige Etappe habe, dann bin ich ganz bei mir, aber ganz in der Komfortzone. Hat die Disziplin mehr Raum, so würde ich sicherlich jeden Tag um 7:00Uhr beim Frühstück sitzen, würde keine Etappe auslassen oder abkürzen und hätte die Zusammenfassung jeden Tages abends gepostet. Beides hat was, und sicherlich macht es die Mischung. Die Disziplin ist die anspornende Komponente, die mich aus der Komfortzone bringt. Nur aus Achtsamkeit heraus wird der Körper nicht gefordert. Ich denke an Joyce Hübner, die grade medial präsent in 120 Marathons an 140 Tagen am Stück Deutschland umrundet. Motiviert lacht mir ihr heutiger Post ins Gesicht. 48 hat sie schon hinter sich und beißt sich - gut gelaunt - jeden Tag durch. Ob müde, ob wach, ob gesund, ob krank. #joyceanihrergrenze motiviert und zeigt was der Körper leisten kann. Und in diesem Kontext schämt sich meine Disziplin über meinen Saunatag, die Achtsamkeit hingegen feiert sich, denn sie hat einen seltenen Sieg gefeiert. Mehr davon, denkt sie sich!

Und so kämpft die Achtsamkeit beim Frühstück erneut gegen die Disziplin. Die ganze Nagelfluhkette rückwärts, da ich ja den Maximiliansweg in die falsche Richtung laufe, bei dem trüben Wetter? Ob sich diese Anstrengung den lohnt, wenn ich wahrscheinlich gar keine Aussicht sehe? Einen schönen, entspannten Nachmittag in der Hütte mit viel Zeit zum Schreiben wünscht sie sich. Die Disziplin hat erneut keine Chance und die Gratwanderung wird durch einen deutlich kürzeren Direktaufstieg ersetzt.

Müde starren Kühe und ich uns an. Ob so ein Kuhleben Spaß macht? Nur in den Bergen sein, chillen, futtern und die Aussicht genießen. Nur die Glocke würde mich total in meiner Meditation stören - aber hey (siehe Claudia), dann frisst dich kein Bär. Eine Zeitlang beobachten ich die Kühe und folge dann dem Fahrweg bergauf. Rechts von mir liegt der Gipfelweg der Nagelfluhkette. Die Wolken ziehen düster umher und es ist dampfig. Der Weg ist etwas monoton, aber nach einiger Zeit merke ich wie mein müder Bewegungsapparat wieder in Gang. Ich weiß schon, warum ich bisher auf keiner Fernwanderung einen Pausentag eingelegt habe. Wahrscheinlich feiern die Muskeln Party, dass die Anstrengung nun endlich ein Ende hat und dann werden sie mitten im Feiern wieder zur Arbeit gerufen.

Ich folge weiter dem Fahrweg. Recht bald sieht man schon die Bergstation der Hochgratbahn in der Ferne. Von da an verengt sich der Pfad zu einem schmalen Wanderweg. Viele Höhenmeter sind nicht mehr zurückzulegen.

An der Abzweigung zum Hochgratgipfel konme ich doch tatsächlich nochmal ins überlegen: den Gipfel noch schnell mitnehmen? Ich gehe ein paar Meter, doch erinnere mich schnell daran, dass ich mir einen entspannten Nachmittag auf der Hütte wünsche und führe meinen Weg zur Hochgrat Bergstation fort. Im Charme einer Massenabfertigungsskihütte ist sie eingerichtet. Ich mache eine Pause bei Germknödel und Almdudler, bevor ich zum kurz unterhalb liegenden Staufener Haus aufbreche. Die DAV Hütte verfügt über denselben malerischen Ausblick auf der Terrasse.

Staufener Haus am nächsten Morgen

Eine Schulklasse ist dort und spielt laut am Vorplatz. Von einer Dusche träumend checke ich ein - doch ich werde schnell auf den Boden der Tatsachen geholt: die Duschen seien wegen Wassermangels gesperrt und so eine Katzenwäsche sei doch auch etwas Schönes. Gesagt getan: frisch gewaschen setze ich mich in die Ecke der hellen Stube. Es scheint die einzige Position mit Handyempfang zu sein. Bei Kaffee und heißer Schokolade beantworte ich zunächst Nachrichten und Anrufe, bevor ich ein wenig Blog schreibe…

Ich komme mit der jungen Wirtin Louisa ins Gespräch. Sie habe ihren Job als Prokuristin in einer Allgäuer Klinik gekündigt und sei mit einem Freund, der ebenfalls gekündigt hat, das neue Pächterteam. Noch nie habe sie ein so intensives Bewerbungsgespräch gehabt wie beim Alpenverein. Neun Vorstandsmitglieder hätten die Auswahlgespräche geführt. Sie sei glücklich genommen worden zu sein. Das Leben ist einfach hier oben auf der (wie ich finde Premium-)Hütte. Das Pächterteam wohne zusammen auf 4qm. Privatsphäre gäbe es nicht. Alle Angestellten seien auch Anfang/ Mitte 30 und hätten jeweils den vorherigen Bürojob an den Nagel gehängt. Ein großes Team in der Sinnsuche. Und dennoch habe ich selten ein so warmherziges, liebevolles und verzahnt ineinander funktionierendes Team erlebt. Louisa scheint ein goldenes Händchen in Mitarbeiterauswahl und -führung zu haben. Wie lange hier jeder bleibt wisse keiner so genau, sie ließen sich treiben und hören ganz auf dich selbst. Da ist sie wieder die Achtsamkeit.

Ich bewundere den Mut dieser entscheidungsstarken Mannschaft. Es gehört viel dazu einen sicheren, gut bezahlten Job zu kündigen, um auf einer Hütte für Unterkunft, Verpflegung und ein wenig Geld zu arbeiten, während man sich selbst neu justiert. Alle, die hier sind, haben entschieden, dass sie dort, wo sie waren nicht hinpassten. Und das unterscheidet sie zu allen, die Meckern, innerlich Kündigen, in Folge dessen wenig Leisten, aber trotzdem bleiben. Für mich, sind sie Sieger, keine Verlierer.

Es gesellen sich zwei Mädls zu mir. Eine voller Energie und Präsenz, eine eher ein Mauerblümchen. Sie kennen sich nicht, doch beginnen Uno zu spielen, während ich wieder mit meinen Notizen beschäftigt bin. Beim Essen dann, kommen auch wir ins Gespräch. Die vor kraft strotzende arbeitet in der Markenstrategie in Zürich. Es scheint ein harter Job zu sein, denn sie hat mit diesem Kurzurlaub in der Heimat die Notbremse für ihre mentale Gesundheit gezogen. Die liebevolle graue Maus ist Arzthelferin und beschreibt begeistert ihren Alltag. Auch sie ist alleine unterwegs. Wir sinnieren über nächste Reiseziele und dann passiert wieder so eine unerwartete Wendung, wie ich sie an solchen Begegnungen liebe. Sie erzählt von zahlreichen Himalayatouren, in denen sie 10 Fünftausender gelaufen ist. Von der unglaublichen Art des Buddhismus, von der man so unendlich viel lernen kann, und von ihrer nächsten Tour mit dem Zeit durch Nepal. Ihr Mann begleitet sie dort nie - es ist ihre Zeit für sich. Eine solche Stärke und einen solchen Erfahrungsschatz hätte man nie von ihr erwartet. Und es zeigt mir wieder, wie sehr es sich lohnt, sich jedem Menschen zu öffnen und zuzuhören. Jeder kann etwas besonderes gut, jeder hat seine spezielle Begeisterung, jeder brennt für etwas. Hinter die Fassaden zu blicken, ist das Spannendste an diesen Gesprächen.

Wir genießen zusammen den Sonnenuntergang und lassen den Abend in der Stube ausklingen. Zur Bettruhe zahle ich als letzte und nochmal kommen die Wirtin und ich ins Ratschen. Wir tauschen Erfahrungen und Sichtweisen aus, sie erzählen noch mehr Details ihres Werdegangs, des aktuellen Lebens auf der Hütte und den Herausforderungen dieses Jobs. Eine weitere Stunde vergeht, bis ich schließlich nach oben ins Lager kriechen möchte.

Die Lehrerin der sechsten Klasse steht immer noch an deren Tür und horcht. Ich frage mich, was das bringen soll, außer dass sie am nämlich Tag selbst übermüdet sein wird. Und so lobe ich sie, wie toll das heute alles mit der Klasse geklappt habe und sie könne beruhigt ins Bett gehen. Sollen sie rumlaufen, würde das mich nicht stören. Erleichtert zieht sie sich zurück…

Mein Name ist Nela. Ich bin eine freiheitsliebende Entdeckerin, voller Neugierde Neues zu finden, zu sehen, zu versuchen.

Das könnte dir auch gefallen