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Lechtaler Höhenweg

Tag 2: Stuttgarter Hütte - Leutkircher Hütte

Wie schon so oft, bin ich alleine unterwegs. Ich genieße es, dass niemand etwas sagt. Das [Entschuldigung] Gelaber mancher Zeitgenossen ohne erkennbaren Output ist zwar etwas, was ich gut an mir vorbeiziehen lassen kann, das ich aber auch gerne komplett aus meinem Tag streiche, wo immer es möglich ist. Überhaupt erscheint es mir, als würde es immer populärer zu kritisieren, viel zu reden, alles besser zu wissen, sich aber selten für die Sachlage zu interessieren, geschweige denn Verantwortung zu übernehmen. Kaum jemand bereitet sich noch auf Termine vor, kaum einer gibt sich wirklich Mühe komplexe Sachverhalte zu erfassen - irgendwer wird es schon lösen. TEAM - Toll Ein Anderer Macht‘s. Und so lange kann man ja mit einem Kaffee im Meeting sitzen und mit vielen Worten wichtig tun, ohne am Ende Entscheidungen zu treffen. [Mein neuer Nachbar sollte sich nun wiedererkennen].

Und all dieses Geschwätz hat nun zwei Wochen Sendepause. Denn in den Bergen sind die meisten Menschen vorbereitet, sie erzählen nur von Taten, dem heutigen oder morgigen Tag, sie geben einem meistens keine oberschlauen Tipps, ohne selbst etwas zu können und sie sind vor allem selten arrogant. Es scheint, als würden es all die Dampfplauderer der Nation und all die gehässigen Menschen, die sich daran aufgeilen andere Menschen niederzumachen, nicht in die Berge schaffen. Denn es trägt sie keiner hoch, selbst handeln ist ja nicht so ihr Ding und nur durch reden hat auch noch niemand Höhenmeter überwunden.

In der warmen Morgensonne breche ich auf. Müde bin ich, denn die Träume meiner Nacht hätten sicher für ein Quartal Tatortsendungen gereicht. Ein paar Schafe sind die letzten Begegnungen des Tages, bevor es gänzlich still wird. Ein weites Wiesental möchte durchschritten werden. Wenig später führt mich ein schmaler Weg über ein Geröllfeld.

Auf dem Erlijoch angekommen, bingt mein Handy auf und eine Nachricht jener aggressiver Nachbarn trübt meine Stimmung. Die nächste Stunde arbeiten Themen wie unsere sich tot stellende Hausverwaltung, unsere schreienden Nachbarn und die anstehende Eigentümerversammlung meine Gedankenwelt. Viele Menschen sind so mühsam geworden seit der Coronazeit. Wie oben genannt spielt die Sachlage kaum noch eine Rolle. Arbeitsverweigerung ist Alltag geworden. Doch möchte jeder bitte Geld dafür. Ich glaube, es ist zu gemütlich geworden in Deutschland. Nichts tun ist en vogue, unser Kanzler macht‘s vor. Das Schlimme ist: es funktioniert. Man kommt so auch noch besser durchs Berufsleben, als politischer Slalomfahrer und Verantwortungsvermeider. Erst wenn Merkel einem das „Vertrauen aussprach“, war man kurz vor abgesägt.

Ich gebe meinem Unmut noch ein wenig Raum, dann verfliegt er...

Der Weg führt mich über eine Art Graszunge in ein weites, imposantes Tal hinein. Serpentine für Serpentine steige ich hinab. Ich genieße die Stille, wenngleich mein Hirn allmöglichen Themenpotourri bietet. Wieder wühlt es in alten Schmerzen bis ich irgendwann erlösend darüber zu sinnieren beginne, welches Fahrrad ich mir ab Oktober leasen werde und ob ich meine beiden alten Räder verkaufe. Bei meiner Spezipause auf der Erlachalpe beäuge ich kritisch die E-Mountainbikes der Besitzer. Ich glaube, in meiner Freizeit gehe ich lieber zu Fuß. Die ganze Entschleunigung wäre ja dahin?! Dieses Meditierende, wenn die Gedanken gerade nicht in der Restekiste graben…. Klobig sehen sie aus. Irgendwie sind sie mir nicht städtisch genug. Ich entscheide mich ein Stadt- und Isar-Radler zu bleiben und in den Bergen weiterhin zu wandern.

Der Hang gegenüber ist runtergekommen und hat den ursprünglich vorgesehenen Weg verschüttet. Meine gewählte Alternative ist zeitintensiv mit einigen Höhenmeterverlusten. Ich nehme den Forstweg abwärts zur Bodenalpe und laufe somit einen weiten Bogen um den beeinträchtigten Hang. Niemand begegnet mir. Eine friedliche Stille herrscht in diesem Tal. Nicht einmal Kuhglocken sind zu hören. An der Bodenalpe angekommen, knallt mir die völlig unmotivierte Wirtin lustlos eine Schorle in einer Plastikflasche hin. Jausenstimmung kommt keine auf. Und wieder muss ich an meinen Nachbarn denken. Schmunzelnd stelle ich fest, dass sie immerhin handelt.

Nachdem ich bis hier hunderte Höhenmeter eingebüßt habe, muss ich nun noch ca. 2.5h bergauf steigen, um an der Leutkircher Hütte anzukommen. Ein schmaler Pfad schlängelt sich in Serpentinen durch den Wald. Irgendwann hat er eine gleichbleibende Höhe erreicht. Auf einer Lichtung steht auf einem Baumstumpf eine Rucksackkraxe mit einem Stück Baumstamm aufgeschnallt. Darin steckt seitlich eine Axt. Eine dunkle Regenjacke hängt verloren an einem Baum. Menschen sehe ich weit und breit keine. Die Szene könnte aus einem Tatort am Sonntagabend stammen, als düstere Einstiegskulisse, deren mystische Stille durch den dumpfen Schlag des Mörders unterbrochen wird. Früher waren Morde wie diese wirklich nur Stoff für einen Tatort. Heute wird beinahe wöchentlich jemand auf offener Straße wahllos erschossen oder erstochen. Die Berge sind hiervon weitestgehend verschont geblieben. Diese Bergmord-Szenarien, wie zum Beispiel Jörg Maurers Kommissar Jennerweins Fälle, haben lediglich deshalb Unterhaltungswert, da sie durchaus passieren könnten, aber derart überspitzt sind, dass der Leser sich in der wohlig warmen Sicherheit wägt Derartiges niemals in der Zeitung zu lesen.

Der Weg führt mich weiter und wird zunehmend matschiger. Holzbohlen sichern den Tritt. Mein Dank gilt in diesem Moment den vielen Unsichtbaren, die es geben muss, um Wanderwege jeden Tag wieder passierbar zu machen. Wer das wohl macht? Ein schmales Tal öffnet sich vor meinen Augen und ein kleiner Bach plätschert vor sich hin. Wie gerne hätte ich nun eine vernünftige Kamera dabei, um den Fall des Wassers mit langer Belichtungszeit in einen milchigen Schwall zu verwandeln. Geduldig teste ich alle Einstellungen des iPhones aus, bis ich unzufrieden aufgebe.

300 Höhenmeter stehen noch zwischen mir und dem langersehnten Weißbier. Der Weg folgt dem Bach zwischen Büschen und Sträuchern hindurch. Heute ist mir die Wanderung einfach zu lange. Das fehlende Stück ist genau das Stück, das mir zu viel ist.

Ich scheine mit diesem Gefühl nicht alleine zu sein, denn eine junge Holländerin sitzt weinend in der sengenden Hitze des Hanges. Es sei heute so hart und ihre Freundin (die ich nirgends erblicke) sei so schnell, schluchzest sie. Ich biete ihr an, sie bis zur Hütte in ihrem Tempo zu begleiten und nicht allein zu lassen. Ein Lächeln huscht ihr über das Gesicht und mit einer kindlichen Handbewegung wischt sie sich das tränenüberströmte Gesicht trocken. Ich folge ihr langsam und versuche sie ein wenig abzulenken. Sie erzählt mir von Reisen mit ihrer Schwester, vollen und langen Zugstrecken und von kroatischen Wasserfällen. Irgendwann holen wir ihre Freundin ein, die sich mit 150 Höhenmetern Abstand wohl doch Sorgen gemacht hat. Ich starte einen Countdown und rufe der Holländerin alle geschafften 30-50 Höhenmeter zu. Sie kämpft, ich auch.

Bald erblicken wir die Hütte am Ende einer grünen Hochebene. Noch 50hm! In der Mitte der Wiese verschwindet sie wieder aus unserem Blickfeld. Quälend fühlen sich die Schritte an. Ob die Hütte eine fata morgana war, scherzen wir halb belustigt, halb verzweifelt. Doch endlich: oben über dem Stanzertal thront sie, die Leutkircher Hütte. Zielstrebig bestelle ich mein alkoholfreies Weißbier und lasse im Liegestuhl den Tag ausklingen.

An der Hausmauer sitzend, mit Blick in die untergehende Sonne, meditiere ich noch ein wenig, bevor ich mich in mein übel müffelndes 16er-Lager zum Schlafen verkrieche.

Mein Name ist Nela. Ich bin eine freiheitsliebende Entdeckerin, voller Neugierde Neues zu finden, zu sehen, zu versuchen.

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