Nach einem Einheitsfrühstück aus Pappsemmeln, Filterkaffee und dieser Mini-Leberwurst, die es jeden Tag gibt, träume ich von Obst, von Porridge, von Brot mit Avocado und Ei. Vielleicht träume ich von irgendwas anderem als einer Schale Mini-Leberwürsten, deren tägliche Tagesstartherausforderung darin besteht sie mit den stumpfen Messern zu öffnen, ohne dass sie vom Teller springen.
Die heutige Etappe kennen wir von München-Venedig 2019. Es geht zur Tutzinger Hütte. Damals waren wir geplagt von den ersten zwei Tagen bis Bad Tölz, bis heute meine schwierigsten Wandertage überhaupt. Das eintönige, weite Marschieren mit viel Gewicht liegt mir nicht. Im Längental sind wir damals aufgestiegen. Auch den Weg zum Brauneck kenne ich - aus meiner Kindheit und von Skitouren. Wir beschließen die Gondel zu nehmen und lieber den Grat zu laufen und im Anschluss den Tag auf der Tutzinger Hütte - eine unserer Lieblingshütten - zu genießen. Das Brauneck Gipfelhaus enttäuscht - wie am Vortag die Aueralm. Es hat geschlossen und ein erster Kaffee am Vormittag ist folglich nicht möglich. Wir laufen am Startplatz der Paraglider vorbei. Es erinnert mich ans Hochrieshaus. Wir beobachten einige Starts Richtung Süden und folgen schließlich dem etwas ausgesetzten Wanderpfad.
Links unter uns liegt das wohlbekannte rustikale Skigebiet Brauneck. Mit dem Idealhang kommen Erinnerungen an schöne Sonnen-Skitage hoch. Über Stock und über Stein laufen wir zum Latschenkopf und setzen uns ans Gipfelkreuz. Die vielen Fliegen nerven die Pausenidylle und so gehts schnell weiter. Auf dem Weg begegnen uns zwei erschöpfte Mädls. Welcher Weg der schnellste ins Tal wäre fragen sie uns. Wir schlagen zur Bergstation und die Gondel vor, oder durchs Längental.
Weiter gehts über einen kleinen Sattel auf einen schmalen Serpentinenweg. Links ist die schroff-kühle Benediktenwand. Noch 30min zum Spezi… Ich freue mich. Die Sonne brennt herab.
Und voller Vorfreude erreichen wir schließlich die Tutzinger Hütte. Bunte Schirme und Liegestühle erwarten uns. Wir bestellen und genießen das kühle Getränk. Frisch geduscht chillen wir uns in einen Almdudler-Doppelliegestuhl, den wir auf unserer eigenen Hütte haben.
Ich nehme mir vor den schönen Nachmittag zu nutzen um zu schreiben, doch es wird anders kommen, denn wir begegnen Johannes. Er sitzt hinter uns im Liegestuhl. Wir kommen ins Gespräch - und bleiben im Gespräch für die nächsten 4-5 Stunden. Eine dieser spannenden Begegnungen, die man ohne Hütte nicht hätte. Er arbeitet im Bayerischen Innenministerium, ist als Physiker zuständig für die Feuerwehrleitstände, und feiert seine Überstunden aus der Coronazeit ab. Auch er läuft den Maximiliansweg in richtiger Richtung, sodass unsere Wege sich heute kreuzen. Nach seiner Rückkehr wird er noch 400 Überstunden haben und mit seiner Familie Urlaub machen. Wir sprechen über Politik, Markus Söder, Spezlwirtschaft in Bayern, Tarifverträge im öffentlichen Dienst und vieles mehr. So vergehen Nachmittag und Abend schnell und kurzweilig. Wir freuen uns über die Begegnung und das gute Gespräch.
Belustigt beobachten wir eine Gruppe Schüler, die mit Johannes im Lager schlafen. „Ey Digga Mann, was geht“ fragt ein halbstarker Gangster den anderen. „Ey Brudaaa guckst du“ sagt der andere und hält sein Smartphone wie ein Spielecontroller - obwohl kein Netz ist - dem anderen unter die Nase. Mein Mann grinst mich an, ich weiß wieso: mir geht das Herz auf, denn hier wird meine Muttersprache gesprochen, Assi-Gangster-Deutsch wie im Westpark. Ich liebe es. Ich fühle mich wie zuhause.
Wir ratschen und beobachten weiter, bis die Benediktenwand schließen vom Sonnenuntergang angestrahlt wird und gehen schlafen...