Halbzeit - es ist Halbzeit in diesem doch etwas wilden Jahr 2023. Halbzeitpause und Zeit durchzuschnaufen.
In der ersten Halbzeit habe ich mit kleinem Team gespielt, während das Gros meiner Mannschaft im Trainingslager ist. Doch das Spiel läuft schon - wir spielen gegen die Zeit, gegen eigene und fremde Erwartungen und füllen Unternehmensstrategien mit Leben. Wir unterhalten das Publikum des Managements - Brot und Spiele. Am Ende möchte es ja glücklich mit einem Sieg nach Hause gehen - und ja, ich gebe zu, ich bin Teil davon. Meine Rolle ist eigentlich die des Trainers und Sportdirektors.
Ich stelle ein, fädle Transfers ein, überlege, welche Mannschaftskonstellation besonders erfolgreich sein wird. Und ich sollte die Spielstrategie und Taktik festlegen, trainieren, auf individuelle Stärken und Schwächen eingehen und aus den besten Einzelspielern noch bessere und in Summe eine grandios funktionierende Mannschaft formen, die gerüstet für die Champions League ist…. doch ich spiele. Tor, Abwehr, Mittelfeld und Stürmer gleichzeitig, denn irgendwie wurde schon angepfiffen.
Mein Alltag kommt mir vor, als säße ich in einem bunten Bällebad und versuchte diese Bälle nach Farben zu sortieren - doch irgendwer kippt unentwegt nach.
Und so ertrinke ich in nachkippenden bunten Bällen - doch, weil das Spiel schon läuft, sortiere ich brav weiter in diesem wilden Geschäft. Nun habe ich durch eine notdürftige Abdichtung das Nachkippen gestoppt und mich in die Halbzeitpause gerettet. Zeit zum Verschnaufen, Zeit zum Innehalten, Nachjustieren, Energie tanken.
Seit einigen Jahren habe ich das Fernwandern für diese Phase des Reflektierens, Justierens, der mentalen Pause und Neuausrichtung für mich entdeckt. Besonders lange Alpenüberquerungen eignen sich für mich. Ich liebe es, dass die sportliche Herausforderung einen Gegenpol zu meinem mentalen Marathon des Alltags bildet. Ich liebe es, in dieser Langsamkeit der Gehmeditation zu sein - nur meine Schritte, das Wetter und ich. Ich liebe es, Gedanken aufzunehmen, in Einzelteile zu zerlegen, aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten, neu zu verknüpfen, Erkenntnisse zu gewinnen und auch Dinge loszulassen, Ballast abzuwerfen, um freier und leichter zurückzukehren. Und ich liebe Einsamkeit und Stille- als komplettes Kontrastprogramm dieser flirrig bunten Welt des beruflichen Wahnsinns.
Mein größter Traum einmal alleine die Alpen längs zu durchlaufen, von Wien nach Nizza, wartet noch auf den richtigen Moment. Und so habe ich mir dieses Jahr habe die Route Salzburg - Triest vorgenommen. Vier Wochen habe ich frei, und sowohl mein bester Chef der Welt (danke!!!) als auch ich haben in den letzten Wochen einige Kommentare kassiert. Was eine Woche Unterschied zu den üblichen Urlauben in der Außenwahrnehmung doch ausmacht. Ich plane akribisch und packe voller Vorfreude, bis ich schließlich ein augenöffnendes Telefonat mit einem Hüttenwirt im Nationalpark Hohe Tauern führe. „Mit Eisschrauben und Seil“ könne ich schon kommen. Der teilweise noch hüfthohe Schnee lässt nichts Gutes ahnen: die Tour macht dieses Jahr und um diese Jahreszeit keinen Sinn. Ich muss niemandem beweisen, dass ich das geschafft hätte, ich muss keine Erwartungen erfüllen, ich muss nicht bei 4 Grad Tagestemperatur Sommerurlaub machen.
Ich möchte abends draußen sitzen und die Aussicht genießen können. Daher plane ich spontan um und werde den Maximiliansweg in umgekehrter Richtung vom Königssee nach Lindau - also von „zuhause“ in Oberbayern nach Lindau ins weniger heimische Schwaben laufen. Die ersten Etappen von Salzburg-Triest bis zum Königssee addiere ich hinzu. Es wird eine Liebeserklärung an Bayern, ein bewusstes Erleben und Genießen meiner Heimat, bevor ich nächstes Jahr nach Ungarn ziehe.