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Lechtaler Höhenweg

Tag 6: Simmshütte - Krankenhaus Reutte

Mein Knie verweigert jede Zusammenarbeit. Es hat einfach keine Lust mehr auf weiterwandern. Humpelnd und morsch wird die Hüttentreppe mein Endgegner. Jannik und Denise schmeißen heute die Hütte alleine und überzeugen mich souverän, dass es keine gute Idee ist, angeschlagen 3h ohne Netz abzusteigen. Wir beratschlagen die Lage mit der Bergwacht. Ich schäme mich sie zu rufen, obwohl noch alle Gliedmaßen dran sind und mein Herz auch noch schlägt. Doch Mario aus der Bergrettung entscheidet, dass ich jetzt „einfach schnell eingesammelt“ werde.

Eine dichte Nebelzunge bedeckt das weite Lechtal. Hier oben lässt die Sonne die Gipfel in einem warmen Licht erstrahlen. Irgendwann kommt knatternd der Hubschrauber des Bezirkskrankenhaus Reutte und parkt gekonnt auf den einzigen ebenen 6qm. Wie Markus Kofler im ZDF, nur noch hübscher und charmanter, springt der Notarzt heraus, begleitet von zwei weiteren Helfern und einem grummelnden, grantigen Piloten.

Warum sehe ich nur bei so attraktiven Begegnungen so zerschlagen aus?

Wir fliegen das Lechtal entlang, es sieht wunderbar aus. Alles Schlechte, hat auch etwas Gutes: ein traumhafter Blick über sanfte Nebelschwaden, Gipfel und Täler entlang des Lechtals bietet sich mir. Für einen kurzen Moment vergesse ich Knie und Gesicht, bevor ich in der Notaufnahme abgeliefert werde. Ein wenig Herzschmerz kommt nun zur Liste des Leidens hinzu.

Danke an die ganze Mannschaft, an dich Christian und dein Team. „Immer wieder gerne“ würde ich sagen, aber es klingt so ähnlich wie die U-Bahnwerbung „treten Sie näher“ vom Bestatter.

Die nächsten Stunden/ Tage verbringe ich mit Röntgen, MRT und Sanitätshaus. Ich bin im wahrsten Sinne des Wortes mit einem (2) blauen Auge davon gekommen. Mein Avatarähnliches Gesicht (oben überspachtelt) und meine blauen Wunschpunkte (vgl. das Sams) am Körper werden durch einen Innenbandanriss komplettiert. Ich habe unglaublich Glück gehabt! Fünf Stunden hätte ich an dem Tag nicht stürzten dürfen. Ich hab den "richtigen" Ort erwischt und mein Gesicht hat das Rollen vor dem Abgrund beendet.

Und vielleicht hat es genau so sein sollen. Vielleicht hat es diesen jähen Aufschlag auf den Felsbrocken, das Blut, den Schrecken und den Heliflug mit Christian und seinem Team gebraucht. Vielleicht ist es genau jene Zäsur, die es so dringend brauchte. Gerade war ich dem sogenannten „Tal der Tränen“ entkommen, auf dem Weg zur mentalen Freiheit, auf dem Weg das Alte zurückzulassen, auf dem Weg neu anzufangen. Vielleicht sollte genau dieser Hubschrauberflug der Startpunkt sein und kein Endpunkt. Ich verlor mit dem Sturz alle alten lähmenden Pflastersteine in meiner Seele, all die Erinnerung an das was war. Es ist, wie wenn ich einmal durchgeschüttelt das, woran ich fast erstickt wäre, ausspuckte, hustete und die Alte wurde.

Stufen (Hermann Hesse)

Wie jede Blüte welkt und jede Jugend
Dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe,
Blüht jede Weisheit auch und jede Tugend
Zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern.
Es muß das Herz bei jedem Lebensrufe
Bereit zum Abschied sein und Neubeginne,
Um sich in Tapferkeit und ohne Trauern
In andre, neue Bindungen zu geben.
Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
Der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.

Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten,
An keinem wie an einer Heimat hängen,
Der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen,
Er will uns Stuf´ um Stufe heben, weiten.
Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise
Und traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen;
Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,

Mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.

Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde
Uns neuen Räumen jung entgegen senden,
Des Lebens Ruf an uns wird niemals enden,
Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!

Tag 3 - Lechtaler Höhenweg

Den Lechtaler Höhenweg werde ich wann anders fortsetzen. Doch ich beschließe meinen Urlaub und meine mentale Auszeit nicht zu beenden und die Gegend rund um Reutte, Lermoos, Garmisch und Oberammergau mit den Bergbahnen zu erkunden. Und es wird mir besser gehen denn je. Zu finden sind diese „Invalidentouren“ unter der Kategorie „Ausflüge“.

Mein Name ist Nela. Ich bin eine freiheitsliebende Entdeckerin, voller Neugierde Neues zu finden, zu sehen, zu versuchen.

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