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Lechtaler Höhenweg

Tag 5: Kaiserjochhaus - Simmshütte

Los geht‘s! Voller Energie des Vortages breche ich auf. Ein paar Nebelschwaden wabern im Tal umher und lassen die Gipfel lose verankert erscheinen. Der Malatschkopf wirkt wie in einem Gemäle von Caspar David Friedrich: der Wanderer über dem Nebelmeer.

Der Weg geht in Serpentinen hinab. Schnell kommt eine Kraxelpassage. Es scheint ein Teil des Hanges heruntergekommen zu sein. Ich scherze mit meinem Mann, der gerade am Airpod mit mir telefoniert (mal wieder Thema Hausverwaltung…), dass ich, wenn ich abstürze bitte einen designtechnisch analogen Sarg zu den blauen Alpenvereinsdecken haben möchte, an deren Fußende in allen Sprachen „FÜSSE“ steht.

Es ist rutschig. Ein weiter Trampelpfad führt über einen Geröllhang. Vorbei am Kreuzkopf passiere ich die Gridlonscharte. Ein umwerfender Blick über den Hintersee in seinem grau melierten Geröllfeld präsentiert sich mir. Für einen kurzen Moment scherzt die Damengruppe hinter mir mit mir, ob es nicht nett wäre dort Eiszubaden. Ich kraxel an einem Stahlseil hinab und folge der nächsten langen Geröllfeldquerung. Ich komme mir langsam vor, wie immer. Dennoch hole ich die Matheprofessorin und deren Tochter, die ich am Vortag kennengelernt hatte, ein.

Meine Gedankenwelt ist bunt, voller Impulse und Ideenreichtum. Heute ist einer der Tage, welche sonst nur in der letzten Wanderwoche zu beobachten sind. Mein mentaler Zustand erinnert mich an die letztjährige Etappe zum Staufner Haus. Voller Ideen und Geschäftsmodelle kam ich am Abend an. Natürlich habe ich mangels Zeit wenig umgesetzt. Über eine Prototypenphase ging es nicht hinaus und dennoch lässt mich die Fülle meines Ideenpools nicht los. An der Abzweigung zur Ansbacher Hütte trennen sich die Wege in: Mathe rechts, Maschinenbau links. Wir verabschieden uns, wohlwissend, dass wir uns nochmal begegnen müssen. Denn ich laufe über die Simmshütte zur Ansbacher, die Mathematikerinnen umgekehrt.

Ich mache eine kurze Pause und teile meine frischen Gedanken mit einer Bekannten aus meinem Yogakurs, einer promovierten Psychologin, unter den „50 most inspiring Women in Tech“. Hätte ich irgendwo in meinen Alltag ein wenig Restzeit, könnten wir gemeinsam ein Projekt starten.

Der Weg geht wieder ein wenig hinab. Ich bin immer noch völlig begeistert von der Etappe, den tollen Blicken, der schroffen, aber nicht zu unwirtlichen Landschaft, meinem inneren Frieden…. und dann passiert es. Was genau, entzieht sich meiner Erinnerung. Ich überschlage mich mehrfach und rolle den steilen Hang hinab. Mein Sturz wird jäh mit dem Aufschlagen meines Gesichtes auf einem Felsen beendet. Zittrig versuche ich Halt zu finden. Der Felsen ist über und über mit Blut. Aus meiner Nase und meinem Gesicht rinnt es nur so raus. Wie Frau das im 21. Jahrhundert macht, versuche ich die Frontkamera meines Handys zu nutzen, um den Zustand zu begutachten. Dicke Tropfen Blut bedecken schnell den Screen. Irgendwann ist alles einigermaßen gestillt, desinfiziert, bepflastert. Da sitze ich und starre einfach nur. Mein Kopf schmerzt.

Ich höre Schritte. Die drei Eisbadendamen kommen und fragen, ob alles ok ist. Ich bin immer noch so leer im Kopf. „Weiß nicht“ antworte ich, ohne zu merken, dass ich deren Unterstützung sicher benötige.

Sie setzen mich zu mir. Ich beschließe 2-3 Schmerztabletten zu nehmen und mich zu stärken. Auch ihr Ziel ist die Frederick-Simms-Hütte. Sie begleiten mich und versprechen bis dort bei mir zu bleiben. Nach ein paar Metern frage ich verwirrt, ob ich nun eigentlich meine Schmerztabletten genommen habe und wer eigentlich (ich scheinbar) meine Regenhülle in den Rucksack gesteckt hat. Das beunruhigt mich ein wenig.

Nun kommt das Klämmle, von dem ich auf dem Kaiserjochhaus gehört und gelesen hatte. Eine steile Felsrinne ist mit Seilen versichert. Die Damen (etwas ältere Grundschullehrerinnen) nehmen meine Stöcke. Ich versuche mich maximal zu konzentrieren, mache superkleine Schritte, teste immer noch einmal ab, ob ich auch wirklich gut stehe. Doch ich bin immer noch wackelig unterwegs. Manchmal rutsche ich, mein Knie sticht. Es ist geschafft. Wir folgen wieder einem Pfad auf Geröll.

Links geht es hinab ins Kaisertal. Abstieg 1:45h steht dort. Ich habe die Wahl: Alleine absteigen oder begleitet durchziehen. Letztere Option halte ich für weniger riskant. Die Lehrerinnen verwickeln mich in Gespräche über unser Schulsystem, Referendariat in der Grundschule und ihre Wohnorte. Leider liefert auch hier mein Gedächtnis keine Vollständigkeit. Irgendwann erreichen wir das Kälberjahnzugjoch. Wir machen Pause.

Sie packen ihre perfekt gefüllten Brotzeitdosen aus (warum wundert mich das nicht). Ich vertilge ein paar ungarische Schoko-Energieriegel. Danke Jungs, praktisches Abschiedsgeschenk, neben dem ganzen Schnaps, den Salamis, dem Paprikapulver und dem „Drauf geschissen“-Getränk/Pulver, von dem ich noch nicht ganz rausgefunden habe, wie man es konsumiert. Ein kurzes Hausverwaltungsgespräch erreicht mich - Arbeit kann mein Hirn wohl in jedem Zustand. Dann steigen wir ab. Ich bin unendlich müde. Die steilen rutschigen Geröllwege nerven mich. Ich möchte nur noch da sein. Ca. 60-90min sollen es noch sein. Ich kämpfe mit der Konzentration und meinen echt morschen Knochen. Einen Schnaps für alle würde ich ausgeben, wenn wir da sind, verspreche ich. Den brauche ich heute.

Dichter Nebel hat uns inzwischen wieder umhüllt. Irgendwann höre ich Kuhglocken… Ein gutes Zeichen, denn meist ist die Hütte nicht weit. Freudig ruft mir die voranlaufende Grundschullehrerin zu, sie sähe nun das Ziel: an der rechten Hangkante klebt sie, die Frederick-Simms-Hütte. Vorbei an zwei Absturzkreuzen wird mir ganz schlecht. Der Hang links von mir sieht in meinen Augen viel „bequemer“ aus zum Rollen/ Abstürzen, doch es scheint zum Tod zu reichen.

Ich komme auf die unglaublich dumme Idee das obere Bett zu nehmen, weil ich dort meine Ruhe habe. Das werde ich am nächsten Tag bereuen bei dem Versuch schmerzfrei abzusteigen. Wie gerne hätte ich eine Dusche. Minuten wringe ich das viele Blut aus dem Waschlappen, bevor ich mich vorsichtig wasche. Ich bin über und über blau, meine Pflaster muss ich permanent wechseln. Gequält setze ich mich in die Stube und trinke erst viel viel Kräutertee mit Schmerzmittelbeilage, um dann zu Haselnussschnaps und Wein überzugehen. Innerlich kämpfe ich: soll ich abbrechen, jetzt, wo mir es mir mental doch endlich besser ging? Schaffe ich es weiterzulaufen? Warum zur Hölle, habe ich bewusst einen Weg gewählt, wo man jeden Tag abbrechen kann und schnell daheim ist? Warum zu Hölle, heißt das einzige Buch, das ich dabei habe „Hinfallen ist auch ein Weg nach vorne“. Und warum besteht dieser wunderbare, unvergleichliche Liederabend auf der Simms-Hütte mit Jannik an der Gitarre aus:

„Dark and dusty, painted on the sky Misty taste of moonshine, teardrop in my eye | Country roads, take me home to the place I belong“

„wennst amoi noch so ham kummst, dann samma gschiedene Leid“

„Hey Jude, don't be afraid | You were made to go out and get her“

„über den Wolken, muss die Freiheit wohl grenzenlos sein“ ?  

Mein Name ist Nela. Ich bin eine freiheitsliebende Entdeckerin, voller Neugierde Neues zu finden, zu sehen, zu versuchen.

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