Da wir gestern Abend völlig durchnässt ins Tal nach Wolkenstein abgestiegen sind statt auf dem Höhenweg zu bleiben, fahren wir die verlorenen Höhenmeter zum Grödner Joch hoch und steigen dort wieder in die Tour ein. Wir steigen zum Beginn einer Scharte auf, die gefährlich steil und rutschig aussieht. In Serpentinen geht es zu zunächst angenehm durch die Geröllscharte. Die Tour scheint ein beliebter Tagesausflug zu sein. Es ist unglaublich voll. Am Einstieg zu den mit Stahlseilen gesicherten Stellen müssen wir kurz anstehen. Dann geht das Gekraxel los. An mehreren Stahlseilen und Trittbügeln geht es rasch einige Hundert Höhenmeter mach oben. Der Weg ist gut in Schuss, sodass man ohne Klettersteigausrüstung mühelos nach oben kommt. Oben angelangt landen wir auf einem Hochplateau, auf dem neben einem tief türkisen See eine Hütte thront. Wir trinken dort einen Schluck alkoholfreies Weißbier. Generell wird unser Körper langsam das Blut gegen alkoholfreies Weißbier ausgetauscht haben. Es ist auf unserer Tour (noch mehr als daheim) zum Grundnahrungsmittel geworden...
Wir steigen links des Sees weiter auf. Bald kommen wieder gesicherte Stellen, die aber schnell nach oben gekraxelt sind. Ein wenig Geröll müssen wir noch hinauf bis wir wieder auf einem Hochplateau landen. Es erwartet uns kahle Mondlandschaft.
Wir kommen zu der Erkenntnis, dass die Dolomiten vor allem von unten aus Almwiesenperspektive schön sind. In der Wärme und lieblichen Umgebung von Almwiesen ist der Gegensatz der kahlen, schroffen Felsen beeindruckend. Hier oben fehlt all das Gemütliche und Liebliche. Nicht ohne Grund wird man auf Postkarten den Piz Boe inkl. Wiesensockel abdrucken und nicht diese Ödnis hier oben. Beim Wandern sollte man entscheiden, ob man dieses Erarbeiten und Entdecken der fremden Landschaft reizvoll findet oder das Wandern in einer Wohlfühloase. Will man auf die Postkartenaussicht draufschauen oder von ihr hinunter?
Die Mondlandschaft ist übrigens auch der höchste Punkt auf unserer Tour München-Venedig. Da der Piz Boe Gipfel in der Wolke hängt, entscheiden wir uns keinen Abstecher dorthin zu machen. Wir wandern weiter in der Mondlandschaft. Schnell haben wir die Rifugio Boe erreicht. Es handelt sich um eine hochalpine Wellblechhütte, die innen den Charme einer Fernbushaltestelle versprüht. Die Toiletten sind Löcher im Boden, was den Max an einen chinesischen Zug nach Tibet erinnert. Wir essen schell etwas Überteuertes auf den Holzwartebänken der Haltestelle und brechen zur Pordoischarte auf. Links und rechts sind steile Felswände. Dazwischen sitzt ein süßes Hüttchen und der Ausblick wirkt vom Mond aus, wie die Sicht hinunter auf eine grüne Welt. Es geht in Serpentinen ein Geröllfeld hinab. Wir rutschen bei jedem Schritt und erkennen schnell, dass eine Art Joggingschritt die sicherere Variante des Absteigens ist. Die schwarze Regenwolke im Nacken steigen wir sehr schnell ab. Der Weg geht unten in einen Wiesenpfad über. Oben hat die schwarze Wolke schon den ganzen Piz Boe eingenommen... Trocken kommen wir am Pordoijoch an, einer Art übergroßem Parkplatz mit Souvenirladen und zwei Gasthäusern. Wir wählen das linke Albergo und überschreiten somit die Grenze von Südtirol und Veneto.