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Ausflüge

Skitourenwochenende Kiental

Bunt ist mein Leben, laut und wild, wie das Treiben auf einem großen Jahrmarkt. Überall gibt es Dinge zu entdecken. Während sich in der einen Ecke die Menschen amüsieren, taumeln andere etwas orientierungslos über die Straßen beleuchtet von den grellen Lichtern der Stadt. Ich beobachte, versuche alles zu erfassen, jedes Fahrgeschäft und jede Ecke des Jahrmarkts zu kennen. Ich lausche der Musik, den Ansagern „neue Runde, neues Glück“ und den glücklichen und unglücklichen Gesprächen der Stammtische. Ich fahre mit auf den Loopings der Stadt - mal geht es steil bergauf, mal muss ich mich festhalten, um im Fahrtwind des Hinabrauschens das Gefühl der Kontrolle zu erzeugen. All die Menschen, die einsteigen, haben einen großen Mut, aber dann auch einen Heidenspaß. Ich höre mich viel lachen, sause von einer Attraktion zur nächsten, nehme aber dennoch all die Schattenseiten dieses Trubels wahr. Ich sehe manch müdes Gesicht, manch Orientierungslosigkeit, viele Dinge, bei denen man lieber weggesehen hätte… Und an manchen Tagen, ganz selten, lurt er noch immer ein wenig durch: der Nachhall von meiner Zeit in Ungarn, der wie eine gruselige Fratze mich versucht in der Geisterbahn zu erschrecken. 

Die Kunst ist es, all den Menschen auf diesem Jahrmarkt den Ort zu zeigen, an dem sie lachen und keine Angst haben, an dem sie glücklich und gesellig sind, ohne abends taumelnd nachhause zu laufen, an dem Dissens, wie am Stammtisch ausdiskutiert werden darf, ohne in einem Streit zu enden. Ein friedlicher Jahrmarkt, auf den jeder voller leuchtender Augen zurückblickt und ihn als gute Zeit bewertet: Besucher, Wirte, Schausteller und die Polizei. 

An einem Freitag bin ich aus diesem Trubel ausgebrochen, um mit fünf lieben Kollegen einen Ausflug ins Kiental in der Schweiz zu machen. Wir wollen Skitouren gehen. Genauso sehr wie ich mich auf dieses Wochenende gefreut habe, hatte ich Angst mit meiner wenigen Erfahrung und Kondition mithalten zu können. Einerseits hatte ich das klar artikuliert, andererseits möchte ich natürlich nicht die etablierte Gruppe bremsen.  

Wir starten am Freitagmittag am Parkplatz Tschingel, um Richtung Griesalp aufzusteigen. Wir folgen einer verschneiten Fahrstraße. Hier führt die steilste Postbusstrecke Europas hinauf, lerne ich. Und tatsächlich gehen wir auf Skiern vorbei an verschneiten Haltestellen, die frierend darauf warten in der frühlingshaften Wärme wieder genutzt zu werden. Ich laufe mich langsam ein, immer hinter den fitten Kollegen her. Meine Müdigkeit der letzten Tage zieht an meinen Gesichtszügen, und dennoch tut die frische Luft wahnsinnig gut. 

Der bunte Trubel des Alltags sowie die grauen Gewitterwolken der deutschen Politik beschäftigen mich. Noch nie bin ich mit so wenig Planbarkeit ins neue Jahr gestartet. Die Krisen dieser Welt, die Politik, der Alltag und eine sich wandelnde Gesellschaft führen dazu, sich allzeit bereit zu machen, für was weiß man eigentlich nicht, aber eben für all das, was kommt. Sozusagen eine dauerhafte neutrale Skiposition, um Unebenheiten wegzufedern, um auszuweichen, Kurven zu machen, Gas zu geben und zu bremsen, sich jedoch nie wie ein Sonnenskifahrer mit leichter Rücklage und Blick zum Himmel in der Sicherheit und Schönheit des Moments zu wägen. 

Wir folgen weiter dem Forstweg, über Brücken hinweg, hindurch durch eine eindrucksvolle Schlucht. Am Abend werde ich Fotos davon gesehen haben und mich fragen, wo das war. Mental bin ich wohl noch woanders. Angekommen auf der Griesalp empfängt uns ein Weiler voller alter Höfe und Häuser. Wir queren ein Bächlein und steigen noch ein paar Höhenmeter auf, vorbei am Restaurant Golderli hin zu unsrer Unterkunft, dem Naturfreundehaus. 

Bei einem Kaffee lernen wir Dani und Ella kennen, die Hüttenwirte. Warmherzig und freundlich werden wir empfangen. Wir beziehen unser Matratzenlager, bevor wir wieder aufbrechen. 

Ein Pfad führt uns durch den Wald bergauf. Es ist wolkenverhangen und ein wenig düster. Mit jedem Höhenmeter verliere ich den Sumpf an Gedanken in meinem Kopf, es wird heller und heller und irgendwann, blitzt im Innen und Außen die Sonne durch. An einer Hüttenwand machen wir eine kurze Pause, trinken warmen Tee aus den guten Jobrad-Flaschen und naschen die Energiegummibärchen meines Chefs. Weiter gehts in klirrender Kälte und strahlendem Sonnenschein. Irgendwann schreit mein müder Körper nach Abfahrt und ich beende diesen Starttag…

Nach einer Nacht im warm-kuschligen 6er Lager voller verschwitzter Klamotten quäle ich mich aus meiner Ecke. Niemand hat mich je so leise erlebt. Mürrisch trinke ich einen Kaffee nach dem anderen. So gerne hätte ich mich weiter eingemummelt in meine vielen Decken in „Embryostellung“, wie passend kommentiert wurde.

Draußen wartet ein Winterwonderland auf uns, wie das kitschig bemalte Innere einer Schneekugel. Die Bäume sind bezuckert, die Sonne taucht das einsame Tal in eine hellglitzernde Kulisse, die darauf wartet von uns mit Leben gefüllt zu werden. Wieder starten wir den Waldpfad hinauf. Nach ca. 400km ertappe ich mich, wie ich von Sonnen an einer Hüttenwand träume. Ich habe schon sooo viel geleistet, schreit mein müder Geist. Doch ich folge weiter meinen Kollegen. Inzwischen hat sich eine „Rentnergruppe“ aus zwei Langsameren gebildet, irgendwo in weiter Ferne sehe ich die anderen. Wir queren auf einer Höhe hinüber weit ins Tal hinein, hindurch durch das glitzernde Meer des frischen Tiefschnees. Wieder denke ich: da hinten, wo der steile Anstieg kommt, da drehe ich um… doch die anderen sind schneller und schon längst ein paar Spitzkehren weiter. 

Mein innerer Schweinehund bekommt kein Mitspracherecht. Kehre für Kehre steige ich auf - immer dem Leitwolf Chef hinterher. Irgendwo in weiter Ferne erkenne ich seine Silhouette und die Farbe seines Rucksacks. Telefonisch werden wir motiviert sein Tagesziel, den Grat, zu erreichen, wo er bereits „Veschper“ richtet. Als wir schließlich den Aussichtspunkt erreichen, liegen wir uns in den Armen, sind stolz und glücklich über unsere Tagesleistung und genießen Tee und Brotzeit in der Sonne.

Unberührt liegen die glitzernden Tiefschneehänge vor uns und warten darauf gespurt zu werden. Rhythmisch zeichnen wir Linien in das sanfte Weiß. Ich erinnere mich, wie ich mit ca. 18 Jahren mit meiner Freundin Magda unseren Lieblingshang in Fieberbrunn spurten, stets im Takt, stets im Flow. Damals überwältigte mich der Rausch an Dopaminausschüttung. Ich setzte fortan jenes abgespeicherte Gefühl mit der Definition von Glück gleich. Und so genieße ich die lange Abfahrt mit meinen zwei Kollegen: Glück ist, mit so lieben Menschen in Tiefschnee unterwegs zu sein. 

Danke, dass ich dabei sein durfte. 

Mein Name ist Nela. Ich bin eine freiheitsliebende Entdeckerin, voller Neugierde Neues zu finden, zu sehen, zu versuchen.

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