Tag 7: Winnebach - Sölden
Es hat die ganze Nacht gewittert. Der Hagel prasselte so stark und dicht hinunter, dass die Bäume hinter dem Hagelvorhang kaum noch erkennbar waren. Es blitze, stürmte und der Bach krachte tosend ins Tal.
Heute soll es gewittern. Der ursprüngliche Plan war es über die Amberger Hütte über das Atterkarjöchle (2970m) nach Sölden ca. 1700 Höhenmeter auf und ca. 2000 Höhenmeter abzusteigen. Eine brutale Etappe, die bei Gewitter undenkbar ist. Wir werden ab Gries nach Brand absteigen, dort die Hängebrücke nehmen, um nach Oberburgstein zu gelangen. Dort möchten wir entscheiden, ob wir im Tal dem Radweg nach Sölden folgen oder den Bus nehmen. Und als wüsste Ö1, dass alles anders kommen soll, spielen sie „Summer dreaming“, der Song, den die Therme Erding seit ca. 10 Jahren in der Citrussauna beim Aufguss spielt und läutet somit den (halben) Saunatag ein:
Come on over have some fun, dancing in the morning sun.
Looking to the bright blue sky, come on let your spirit fly.
Living it up this brandnew day, summer sun it's time to play.
Doin' things that feel so good. Get into the motion.
What I'm feeling. It's never been so easy.
When I'm dreaming. Summer dreaming when you're with me.
Wir folgen dem Wanderweg neben dem Fluss. Das Gewitter muss Wassermassen ins Tal geschossen haben. Meterhoch sind die Unterspülungen an den Seiten des Flusses. Laut poltern riesen Felsbrocken durch die Wucht des Wassers auf dem Flussgrund. Nach wenigen hundert Metern wartet eine Wegsperrung auf uns. Gerölllawinen scheinen den Wanderweg unpassierbar gemacht zu haben. So bleibt uns nichts andres übrig als auf der Straße Kehre um Kehre, Tunnel um Tunnel ins Tal zu laufen. Die Hängebrücke, auf die wir uns an diesem Alternativtag gefreut hatten, liegt unerreichbar auf der anderen Talseite. In weiter Ferne sehen wir den Bagger seine Arbeit auf dem ursprünglich gewählten Wanderweg durchführen. Im Tal angekommen, kehren wir kurz in einer kleinen Konditorei ein, genießen Kaffee und Kuchen und nehmen den Bus nach Sölden.
Angekommen in der Zivilisation, freue ich mich mein „Ausgehoutfit“ für abends (Leggings & Pullover) durch ein Poloshirt zu ergänzen, nachdem ich das „gute“ 3. Shirt daheim auf der Wäscheleine vergessen hatte. An der SB-Poststation senden wir den Schlüssel des Alplhauses an den Alpenverein nach München zurück und sind froh, auch das erledigt zu haben…
In unserem Hotel ist der Eintritt in die Freizeitarena Sölden dabei, ein etwas in die Jahre gekommener Bau, optisch zwischen Bürogebäude und Turnhalle. Eine Biosauna, eine finnische Sauna, ein Kräutersolebad und ein Ruheraum warten auf uns. Im lieblosen Luftschacht, der zum Abkühlen nach dem Aufguss dient, regnet es uns auf die Köpfe. Immer wieder grollt der Donner in weiter Ferne. In der finnischen Sauna gießen wir auf. Einer der vier Tübinger Biker versucht sich wenig geschickt im Verwedeln der heißen Luft.
Auszug aus meiner Gedankenwelt:
Und ich denke an meinen Lieblingssaunameister, der seit Jahren mit viel Begeisterung und Expertise das Herz der Saunajunkies höher schlagen lässt. Man spürt, dass hier jemand seine Berufung gefunden hat. Jeder Aufguss ist eine Zeremonie, ist in seinem Aufbau und der Struktur durchdacht, die Musik ist passend dazu ausgewählt und die besonderen Zutaten und Düfte hat er oft Stunden davor angesetzt. Er nimmt jeden mit in seinen Flow von Verräuchern, über das warm-nasse Aneinanderklatschen der Birkenzweige bis hin zum Terva-Aufguss (wer nicht weiß, was das ist: das Expertenwissen wird am Anfang jedes Aufgusses geteilt).
Letztes Mal haben wir uns lange unterhalten. Ein interessantes Gespräch über seine persönliche Geschichte: einen sehr geradlinigen Lebenslauf im Vertrieb, eine rasch aufsteigende Karriere, einen gesundheitlichen Cut, ein Neujustieren und ein Neustart des eigenen Lebens und über das Glück, dass er in seiner Passion als Saunameister gefunden hat. Eine warnende, ehrliche, lehrreiche Geschichte, gleichzeitig ein Paradebeispiel dafür, dass kein Lebenslauf der Welt ausdrückt, wie er sich angefühlt hat, wie es jemandem dabei ging, ob er glücklich (nicht nur erfolgreich) war und was er dabei gelernt hat. Der Mensch, und das, was die Aufgabe mit ihm gemacht hat, ist oft viel spannender als die Station selbst: ein nacktes Gebilde aus zwei Daten (von - bis) und einer Tätigkeitsbeschreibung.