Tag 22: Staufener Haus - Lingenau
Trampelnd und quietschend setzt sich um 4Uhr morgens eine Horde Sechstklässler in Bewegung. Ich kann nicht schlafen und mein Hirn hat hier auch wieder etwas in Petto, was es jetzt durchdenken möchte. Vielen Dank für einen Gedankenblitz am frühen Morgen. Ich notiere alles in mein Handy und schlafe eine Stunde später unter vier Decken ein. Eine Viertelstunde vor Ende des viel zu frühen Frühstücks klingelt mein Wecker. Ich springe raus und beeile mich noch etwas zu bekommen. Die Schulklasse ist, wie ich erfahre, wieder zurück von ihrer morgendlichen Tour auf den Hochgrat zum Sonnenaufgang. Das Getrampel war folglich geplant. Kurz überdenke ich mein gestriges Lob, verwerfe den Gedanken aber schnell. Es ist bewundernswert mit einer Schulklasse so ein Programm durchzuziehen. Und statt hinabzusteigen, wandern die übermüdeten Schüler heute noch eine Scharte: jede Stunde wird genutzt. Ein junges super-alternatives Pärchen in Vintage-Klamotten war ebenfalls beim Sonnenaufgang und schwärmt von dem Blick. Sie erzählen, dass sie ein schwäbisch-englisches Indie-Duo sind und machen Werbung für ihre Konzerte. Ich folge ihrer Seite, um in Kontakt zu bleiben und verspreche zu kommen, wenn sie in München spielen.
Spät starte ich als letzte im Staufener Haus. Vorwiegend bergab wird es heute gehen. Trotz der kurzen Nacht geht es mir grandios. Ich habe gute Laune, Lust zu laufen und mein Hirn präsentiert mir nur Positives. So frei und leicht hab ich mich lange nicht mehr gefühlt. Es ist, wie wenn ich heute ernten würde, was ich die letzten drei Wochen gesäht habe.
Zunächst folge ich einem schmalen, einfachen Fahrweg, der schnell in einen Trampelpfad übergeht. Niemand ist hier, keiner steigt ab, keiner auf. Der Weg führt in den Wald. Die Markierungen werden weniger und irgendwann drehe ich mich etwas verloren im Kreis. Ich achte auf die Spuren des Laubs und identifiziere vermeintliche Abriebstellen. Sie enden tatsächlich in einer schmalen Gasse zwischen wilden Sträuchern und Bäumen. Danach wird der Weg wieder ein wenig besser, bevor ich auf einen wieder nach der nächsten Markierung suche. Schließlich lande ich auf einem schotterigen Fahrweg der mich zur Landesgrenze nach Vorarlberg führt.
Ich hatte vor zwei Jahren schon einmal überlegt den Maximiliansweg zu laufen. Damals war Hochcoronazeit. Wie weit weg diese Erfahrung zu sein scheint. Beherbergungen hatten in Bayern geschlossen, Zelten (auch alleine) war verboten, nur Biwakieren wäre erlaubt gewesen. Und eben diese zwei Etappen in Vorarlberg hätten wegen der Grenzüberschreitung auch umlaufen werden müssen. Aus diesem Grund habe ich mich - regelkonform - auf den sehr viel volleren Transswisstrail begeben.
Der Fahrweg führt mich nach einiger Zeit zu einem kleinen Weiler, der aus dem Alpengasthof Höfle besteht. Ich mache eine kleine Pause bei Buttermilch und Schnittlauchbrot. Die Pächter sind ebenfalls neu und in der ersten Saison. Schwierig sei das Geschäft hier hinten. Man kaufe ein, dann komme niemand, dann kaufe man weniger, dann käme wie aus dem Nichts eine 25-Köpfige Radlergruppe, die versorgt werden möchte. Die Planung des Bestands ginge nach Wetter und wenig genau übergebenen Erfahrungen des Vorgängers. Warum Übergaben doch in allen Jobs irgendwie schlecht laufen und folglich jeder bei Null anfängt, bis er seine eigene Struktur gefunden hat.
Ich verabschiede mich und ziehe weiter. Nun besteht die Straße aus Asphalt, sehr zur Freude meines Körpers. Zum ersten Mal nach drei Wochen packe ich die Stöcke weg. Vorbei an einem kleinen See und Bauernhöfen, komme ich schließlich in erste Dörfer. Immer wieder ruft mich jemand an, fragt nach meinem Befinden. Ich freue mich an und zu von Freunden und Kollegen etwas zu hören. Und tatsächlich ist die Liste an Namen der treuen Anrufer eine, mit der ich nicht gerechnet hätte. Umso mehr begeistert mich der Austausch, wenngleich er meist durch einen Termin in der Arbeit zeitlich ein Ende findet.
Die Bauweise der Häuser ist auffällig. Ich analysiere sie genau. Die Fassaden sind schuppenartig von Dach bis Boden mit Holzquadraten belegt. Es scheint hier eine Tradition oder Bauverordnung zu sein - man sieht kaum eine andere Fassadenart.
Irgendwann hab ich den Weg verloren und so wandere ich die letzten drei Kilometer auf der Hauptstraße nach Lingenau, einem verschlafenen Kaff in Mitten des Tales. Ich freue mich auf mein vielversprechendes Wellnesshotel und träume schon von der Sauna. Doch es wirkt wie ein alt gewordenes Kurbad, bei dem sich Hotelzimmer verirrt haben. Zwischen Zimmer und „Spa-Bereich“ laufe ich auf blauen Schwimmbadteppichen durch ein Drehkreuz, eine Umkleide mit ca. 100 Spinden in einen Wellnessbereich, dessen Sauna aus ist. Die Bar steht verlassen da wie ein Lost Place. Ich versuche mich nicht zu ärgern und genieße am Außenpool die letzten Sonnenstrahlen des Tages, bevor es zu regnen beginnt…