Tag 20: Pfronten - Sonthofen
Ich schlafe lange. Mehrfach drücke ich auf Snooze. Das Wetter drückt düster meine Stimmung. Heute stehen 30km und ca 1200 Höhenmeter an. Ich hab einen Durchhänger… Ich möchte wandern, aber irgendwie wehrt sich heute alles vor dieser Distanz.
Ich verbringe den ganzen Vormittag telefonierend. Das Gespräch ist mir wichtig. Intensiv sinnieren wir stundenlang über verschiedene Ansichten, Ideen, Wege, Grenzen und Optionen eines nicht ganz einfachen Themas. Es tut gut Zeit zu haben sich auszutauschen. Auch dafür ist dieser Urlaub alleine gut: den Kopf frei zu haben für komplexe Fragestellungen, die Zeit zu haben zu verarbeiten, an Themenstellungen weiterzuarbeiten und sie erneut zu diskutieren. Nach dem wertvollen Gespräch zieht jeder seiner Wege in den jeweiligen Urlaubstag.
Heute mogle ich. „Ich erlaube mir das“ hätte mein Coach des letzten Jahres gesagt. Es ist Urlaub und muss niemandem etwas beweisen. Ich fahre nach Sonthofen und lasse die heutige Etappe folglich aus. Es zieht mich in die Therme. Viel zu lange ist schon der letzte vernünftige Saunaaufguss her.
Die Terrasse mit Pool bietet einen herrlichen Bergblick. Der Ruheraum ist passend zur Berglandschaft eingerichtet. Zwei Bauernbetten mit Stroh stehen bereit zum Relaxen.
Langsam zischt der Aufguss von Herbert in der Blocksauna. Jung und alt sitzen in der Sauna, dick und dünn, faltig und knackig, von Kopf bis Fuß tätowiert und gepierct, mit Saunahut und ohne, lackierte Fußnägel und solche, die man lieber nicht gesehen hätte, Kinesio-Tapes in allen Farben und Beinprothesen. Niemand weiß, wo der Nachbar herkommt, wie er heißt, was er von Beruf ist, was in ausmacht, was er denkt. Wie viele Träume wohl in dieser Sauna sind? Wieder zischt das Wasser, das Herbert, ein tätowierter Ost-Friesländer mit Achselshirt, über die Crushed-Eiskugel mit Melonenduft gießt. Wie viele Sorgen wohl in dieser Sauna sind? Der Anschlag heißer Luft beißt in meinem Gesicht. Welche Füße wen wohl schon wie weit getragen haben? Über die Alpen? Auf den Kilimanjaro? Wer weiß…. Die nächste Runde zieht an. Herbert bietet an zu gehen, doch alle bleiben. Hier sind wir alle gleich. Gleich nackt, gleich viel wert, gleich schön, gleich greislig, gleich schwitzend, wir haben den gleichen Startpunkt und das gleiche Ziel. Bei uns allen hat der Alltag gerade Sendepause, ganz egal, welcher Alltag das ist. „Muckelig“ warm bezeichnet der wie Captain Blaubär sprechende Saunameister den aktuellen Zustand. Er gibt nochmal Gas. Wir - unser Sauna-Kollektiv des 16:00Uhr-Aufgusses - halten durch, beißen, kämpfen und werden schließlich durch die kalte Bergluft, die das Öffnen der Tür hineinlässt, erlöst.
Ich genieße den Thermentag, kaufe mir in der Stadt noch ein schönes Sommerkleid, das ich mir für meine Ankunft aufheben möchte und beende schließlich den Cheatday in einem grandiosen Restaurant eines Hotels bei drei Gängen mit Weinbegleitung. Nach einem lauwarmen Schokoladenkuchen mit Portwein fühle ich mich bereit für den nächsten Tag.