Tag 1: Garmisch - Reintalangerhütte
Müde aber voller Freude kommen wir morgens um kurz nach sieben am Zentralen Omnibusbahnhof in München an. Es herrscht munteres Treiben, aber eine raue, launische Stimmung. Mürrisch raunt der Flixbus-Fahrer zwei Mädls vor uns an, dass für den Weg nach Garmisch kein Führerschein als Identitätsnachweis ausreichend sei. „Diese Leute sollte man mal so richtig bestrafen, damit sie‘s merken“. Geplättet von turbulenten Wochen schlafe ich im Bus beim ersten sanften Schaukeln auf der Arnulfstraße sofort ein.
Nach einer Tasse Kaffee am Garmischer Bahnhof (mit Werbung für Ferienwohnungen im „alpinurbanen“ Bahnhofsviertel) nehmen wir den Bus zum Skistadion, wo es heute losgehen wird. Der Charme vergangener Zeiten ist zu erkennen, doch es wird gebaut. Garmisch macht sich langsam… Wir starten ab der Skisprungschanze Richtung Partnachklamm. Ein viel belaufener Fahrweg führt uns zum Klammhaus, ein hipstermäßig renoviertes Gasthaus mit „Klammladen“, dessen Ware instagramfähig in verschiedenen Schriftarten auf eine Schiefertafel gedruckt sind. Schräg gegenüber thront dahingegen trotzig die marode Ruine der „Restauration Partnachklamm“. Wir kaufen zwei Tickets für die Klamm und passieren BMW-Drehkreuz-ähnlich den Eingang. „Gute Fahrt“ wünscht uns die Vereinzelungsanlage. Durch den Eingang im Felsen kommen wir auf einen befestigten Pfad, der durch dir Klamm führt. Tosender Lärm des reißenden, schäumenden Flusses schlägt uns entgegen. Es ist kühl und nass. Gelegentlich tropft es uns auf den Kopf. Die Sonnenstrahlen werfen glitzernd einzelne Lichtreflexe gegen die nassgrauen Felswände. Die einzige elektrische Beleuchtung bekommt eine Marienfigur „Maria bitt für uns“. Ein kurzer Gedanke, ob zukünftig alle Kirchendächer mit Solarpanels ausgestattet werden müssen und Weihrauch auch die Feinstaubverordungen treffen muss, schnellt ironisch durch mein Hirn, zieht aber schnell wieder vorbei. Wir verlassen die Partnachklamm (wieder wünscht uns das Drehkreuz eine gute Fahrt) und folgen weiter dem Schotterweg. Langsam zieht er sich durch den Mischwald. Die Partnach ist in weiter Ferne. Angenehme Stille macht sich breit. Nach einer langsam vergehenden Stunde voller Gedankenfetzen verschiedener Themen und Situationen erreichen wir eine kleine Holzbrücke über den Fluss. Im Anschluss wird der Weg schmäler und schlängelt sich durch den Wald. Kurze Zeit später wartet hinter einer weiteren Holzbrücke die Bockhütte. Eine Buttermilch, von der ich schon sehnsüchtig geträumt hatte, läutet endgültig den Urlaub ein. Der Storch war bei den Wirtsleuten. Eine Leine Babykleidung als Deko versperrt den Blick auf das imposante Bergmassiv. Da jedes Kind fleißig bei der Bewirtung hilft, scheint die Personalplanung zugeschlagen zu haben. Nach einer Stunde in der Sonne folgen wir weiter dem schmalen Pfad rechts des Flusses. In meiner Erinnerung lag die Reintalangerhütte kurz hinter der Bockhütte.
Genau vor einem Jahr ging es hier zur Zugspitze hoch. Die Wanderungen zur Reintalangerhütte rahmen ein spannendes Jahr ein, voller wunderschöner Momente und Begegnungen ebenso wie voller privater Herausforderungen. Letztes Jahr habe ich das Musikvideo von „Shallow“ geschickt bekommen als ich hier war. Ich möchte dem Sender folgende Liedzeilen zum Nachdenken zurückgeben:
„Tell me something, boy
Aren't you tired trying to fill that void?
Or do you need more?
Ain't it hard keeping it so hardcore?“
I'm falling
In all the good times
I find myself longing for a change.
And, in the bad times, I fear myself“
So denke ich noch eine Weile über den Klang und die Zeilen im veränderten Kontext des Senders in 2022 nach und folge weiter dem Schotterweg. Langsam merke ich, dass meine Beine nach fünf Monaten Laptop und Headset wenig begeistert von „so langen“ Etappen sind. Begeistert diesem Zustand noch einen draufzusetzen tanzen Bremsen um mich herum und malträtieren meine Arme und Beine. Irgendwann erreichen wir müde die Hütte. Tibetische Gebetsfahnen wehen über der Partnach. Kinder jeder Altersklasse spielen glücklich am Fluss. Grüppchen sitzen bei Bier und Schorle unter großen Schirmen und genießen das Erreichen des Tagesziel. Ich lege mich in die Sonne und beginne zu schreiben…